DIE HAUSSCHLACHTER KOMMEN

Anlässlich der “Grünen Woche” in Berlin hat der Fleischatlas 2016 neue Zahlen aufgelegt, bei Wolkenkratzer arbeitet seit dem 11.11.2015 eine eingefleischte Vegetarierin und Oliver isst neuerdings in der Mittagspause nur noch “sein Obst” statt Cordon Bleu. Dazu weiß der Paternoster eine Geschichte . . .

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„Als ich das erste Mal zugeschaut habe, wie ein Schwein geschlachtet wurde, bin ich umgekippt!“, grinst Klaus Dockendorf und greift beherzt mit beiden Händen ins frisch entbeinte Fleisch. Walter ist gerade weniger zum Lachen zumute. Mit nackten Händen fischt er nach und nach die Würstchen aus dem rund 70 Grad heißen Wasserkessel. Dabei zieht er jedes Mal leise Luft durch die Zähne. Klaus lacht. Überhaupt lacht er die meiste Zeit. „Ich hätte hier auch noch ein bisschen Eis! Walter?“

Der Zeitplan ist eng. Klaus dreht eilig die letzten Bratwürste per Hand ein. Bis Mittag muss er noch zwei Baustellen besichtigen. Zwei von mehreren, denn er ist ein gefragter Architekt in der Gegend. Außerdem besitzt er gemeinsam mit seiner Frau Edna die Matzenbacher Mühle – ein historisches Gasthaus und zugleich Ort der Schlachtungen. Walter lebt in Darmstadt. Er ist Tauchlehrer, verdient seine Brötchen aber vor allem mit dem Vertrieb von Internet-Lösungen. Sein Fleisch hingegen verdient er sich alle paar Monate, indem er Klaus beim Schlachten zur Hand geht. Ein Architekt und ein Tauchlehrer – beide Schlachter aus Leidenschaft. Sind die beiden noch ganz bei Trost?



Schlachten steckt an.

Der berufliche Seitensprung dauert schon länger an. Zumindest bei Klaus, der zwar einst das Metzgerhandwerk erlernt hat, aber erst seit 15 Jahren aktiv schlachtet. Er war es, der Walter und viele andere in Schlachterseminaren mit der Lust an der Self-Made-Wurst angesteckt hat. Blutrünstige Neigungen braucht es dazu nicht, ein bisschen Abhärtung allerdings schon. „Die erste Tötung ist nicht leicht zu ertragen“, sagt Walter. Klaus ging es da nicht anders: „Als ich das erste Mal selbst getötet habe, hatte ich nächtelang Albträume. Besonders schlimm war’s bei kleinen Ferkeln.“ Dennoch verläuft eine Hausschlachtung weniger dramatisch, als oft angenommen. „Die Tiere schreien oder quieken nicht und sie reagieren auch vorher nicht gestresst“, weiß Walter zu berichten. Getötet werden darf nur nach Vorschrift und vom ausgebildeten Fleischer – in diesem Falle Klaus. Er steht zwar nicht im Dienste Ihrer Majestät, hat aber eben die Lizenz zum Töten. Und er ist beinahe so berühmt wie 007: Klaus’ seltsam-geniale Idee, Schlachter-Lehrgänge abzuhalten lockte eines Tages das Fernsehen an. Die TV-Dokumentation sorgte für reges Interesse – aber leider auch für das kurzzeitige Ende der idyllischen Ruhe: Pausenloses Telefonklingeln, dann zwielichte Kursteilnehmer; Klaus verging die Lust am Lehren.

„Einmal kamen sogar welche von weit her, völlig unangemeldet, saßen plötzlich im Gastraum und wollten noch am selben Tag Schlachten lernen“, schmunzelt er. Heute dürfen nur noch gute Bekannte und Freunde an seine frisch gewetzten Messer. Echte Knochenarbeit „Mistviech, blödes!“ Klaus erstarrt und horcht in den Raum. Die bunt schillernde Fleischfliege, die seit zwei Minuten träge durch den Raum brummt, stimmt ihn sichtlich nervös. Kritisch verfolgt er ihre Flugbahn. „Acht geben! Wenn die aufs Fleisch geht, war alles umsonst!“ Walter holt eine große Schale Salz und pökelt das Schlachtgut, bevor die Fliege ihr Erbgut absetzen kann.  Die Luft ist kaum trockener geworden; es riecht nach Blut und Fleisch. Außer der Fliege gefällt das niemandem, doch die Fenster müssen geschlossen bleiben. Hier draußen am kleinen Flüsschen Glan im tiefen Westpfälzer Bergland steht eben die Natur in voller Blüte. Und die Fliegenarmeen riechen jeden Braten sofort.

Mittlerweile sind die Bratwürste fertig und für sehr schmackhaft befunden worden. Einen Teil davon haben beide nebst üblichen Zutaten wie Salz, Pfeffer, Muskat und Knoblauchpulver auch noch mit Petersilie gewürzt. Genüsslich kauen sie eine frische Stichprobe und nicken sich zufrieden zu. „Sogar noch besser, die mit Petersilie!“, resümiert Klaus. Es ist neben der sehr guten Fleischqualität auch das Herumprobieren mit eigenen Rezepten, was die Hausschlachtung besonders reizvoll macht. Und auch wenn so manches Gewürzexperiment schon daneben ging – das Fleisch von glücklichen Tieren, die ohne Zufütterung oder Hormonbehandlung aufgewachsen sind, schmeckt unvergleichlich gut.

Walter widmet sich nun endlich seinem Lieblingsprodukt: dem Saumagen. Jetzt sind es die noch tiefgefrorenen, scharfkantigen Kartoffelwürfel, die seine nackten Hände malträtieren. Klaus lacht. Er kennt die Tücken des Saumagens. Doch bei allem Spaß schaut Klaus immer wieder nach Walters Handgriffen, korrigiert ihn und gibt ihm Tipps. Schließlich ist Walter nur alle Vierteljahre hier unten – und da vergisst man zwischendurch schon einiges.

Am Ende ihrer Arbeit sind beide nass geschwitzt, die T-Shirts voller Blutflecken. Schlachten ist Knochenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes. An den Fleischerhaken hängen in stolzer Pracht die Perlen der beiden original pfälzischen Bio-Säue: Filet, Rücken, Kamm, Oberschale und Schinken. Hinzu kommen über 50 kg Bratwürste, die morgen auf dem anstehenden Dorffest verbraten werden. Es hat sich gelohnt. Die beiden Hobbyschlachter sind fix und fertig. Das heißt – fertig noch nicht ganz: Walter räumt freiwillig auf und wischt den Boden. Klaus lacht.

Text, Fotos: Markus Albert | Layout: Michael Leidenheimer

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