Wow! Wieder einmal wurde ich überwältigt von dieser unvergleichlichen Erfahrung: Musikfanatiker aus aller Welt kamen für drei Tage nach Köln, um Musik zu machen, zu hören, zu feiern und zu teilen. Zum mittlerweile vierten mal fuhr ich im Oktober zum Euroblast – zur Zelebrierung modernen progressiven Metals, und kann beim besten Willen nur einen von überschwänglichem Glücksgefühl gefärbten Bericht anbieten…
Titelfoto von Michael Buch: Schwelgen in Reihe 1 bei Twelve Foot Ninja
Das Festival mit 1000+ Besuchern fand auf zwei Bühnen statt – in der Kölner Essigfabrik sowie deren Untergeschoss – und erstmals überschnitten sich dabei die Bands nicht mehr, sodass man mit fünfminütigen Sprint-Pausen auch gut drei Tage lang hoch und runter hätte rennen können, um den Passierschein A38 zu kassieren bzw. sich alle 46 Acts anzuschauen – die Jam Session und After Show Party nicht mitgezählt.
Da dieser Marathon dann doch etwas viel verlangt wäre, gab es aber im Außenbereich auf dem Weg zwischen den Bühnen die Gelegenheit, zu schnabulieren, zu shoppen und zu schnacken. Zwischen Fast Food, Instrumenten, Labels und Merch wurde eigentlich nur der Crêpes-Stand aus den Vorjahren schmerzlich vermisst.
FREITAG
Aber zurück zum Anfang. Da ich bereits am Vortag in Köln angekommen war und mein Ticketbundle den Aufenthalt in der nahe gelegenen Jugendherberge einschloss, fand ich am ersten Festivalmorgen schnell heraus, dass sich unter meinen Zimmergenossen im Achtbettzimmer sogar eine komplette Band befand. Beim Frühstück stolperte ich auch gleich über ein paar alte Bekannte sowie Gesichter, die ich sonst nur von der Bühne kenne. So ging das direkt gut los mit dem Festivalfeeling. Getoppt wurde das natürlich von noch mehr Wiedersehensfreunde auf dem Gelände – herzlichen Umarmungen und dem ganz heimeligen Gefühl: „Wir sind angekommen.“ Das Netzwerk wächst dabei Jahr für Jahr an, alle sind begeistert und strahlen und genießen die freundliche, offene und internationale Atmosphäre – und die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten über das Lieblingsthema austauschen zu können. Mittlerweile kenne ich hier so viele Leute und möchte mich so gern unterhalten, dass es regelrecht schwierig wird, noch Zeit für die eigentlichen Gigs zu finden – aber schließlich sind wir ja irgendwie dafür hier, stimmt’s?
Musikalisch begann der Tag mit instrumentalem Gefrickel von Andy James und später von Angel Vivaldi. Außerdem präsentierte uns Voyager melodischen, djentigen Prog und war nur die erste von vielen weiteren australischen Bands an diesem Wochenende.
Mein erstes Highlight des Tages waren dagegen Isaac Vacuum aus Krefeld/Essen, die ich schon vorher mal bei einem Konzert in Frankfurt kennengelernt hatte. Ihr düsterer, schwerer „Post Prog Rock“ mit fesselnder Stimme, Gitarren-Duo und 8-saitiger „Touch Guitar“ statt Bass zog mich wiederholt in seinen Bann. Beim Blick in die Runde freute ich mich auch, dass es nicht nur mir so ging.
Im Anschluss machten die Hamburger Jungs von Galaxy Space Man ebenfalls postrockig weiter. Zwischen den Gigs ruhten wir uns immer mal wieder auf dem „Sonnendeck“ aus – denn das Wetter war uns hold und die Liegestühle fast schon zu bequem… Den Platz an der Sonne gab ich auch nur auf, um doch noch mal bei Uneven Structure vorbeizuschauen (dazu auch: Blogbeitrag vom Complexity Fest).
The Algorithm gehört zwar irgendwie schon zum Euroblast-Inventar, überzeugte aber die vielen eingefleischten Fans deshalb nicht weniger – und das, obwohl sie mehr Elektro denn Metal fabrizieren und damit hier eher der Exot sind. Stören tut’s niemanden, immer wieder hörten oder lasen wir an diesem Wochenende den algorithm’schen Schlachtruf „oui!“
Nach dem spacig-djentigen Auftritt von Their Dogs were Astronauts ohne Drummer, schaute ich mir noch einen Teil des Konzerts von Textures an, die sich gerade auf Abschiedstour befanden. Auch wenn in der Szene immer wieder betont wird, wie wichtig sie sind und wieviel Einfluss sie hatten – meine Band wird’s nicht mehr und bleibt damit für mich der schwächste Headliner des diesjährigen Festivals.
SAMSTAG
Ganz konnten wir uns dann doch nicht um das Herbstwetter drücken, am Samstag hat es sich komplett eingeregnet. Dann mussten wir eben noch mehr nach drinnen zur Musik.. naa gut! 😉 Wir starteten Tag zwei mit klassischem, aber recht jungem Progressive Rock: Hemina aus … na? richtig, Australien, dicht gefolgt von den Belgiern Bear, die die Halle mit ihrem mathcorigen Djent schon gut durchfegten.
Gänzlich unerwartet war der Auftritt von Colonel Petrov’s Good Judgement. Während die Jazzmusiker an Drums, Bass und Gitarre in aller Ruhe musizierten, legte der Sänger/Saxophonist eine Perfomance hin, die man schon unter Kunst einsortieren muss. Da wurde das Kostüm während der Show permanent umgestaltet, mit Schminke und einer cyborgmäßigen Brille hantiert oder sich aus einem Stofftuch geschält. Danach war ich mir jedenfalls nicht so ganz sicher, was ich hier eigentlich gerade gesehen hatte – das Konzert verdient definitiv den Titel „Schrägster Act“.
… dicht gefolgt von einem der härtesten: Frontierer, ein Biest von technischem Geknüppel, ganz großartig wildem Gefrickel und purer Energie. Was soll ich sagen, ich war geflasht! Dass ich bei der Schnellrecherche vor dem Festival wahre Probleme hatte, herauszufinden, woher die Gruppe stammt, erklärte sich darin, dass sie zunächst als „Online-Projekt“ begann – mit Mitgliedern aus Schottland, Portugal und Amerika, und nur selten live zu sehen ist. Ich darf mich also noch glücklicher schätzen. Erstaunlich war auch, dass ausgerechnet bei diesem Konzert ein kleines Mädchen auf den Schultern des Papas riesigen Spaß zu haben schien und selig hin und her wiegte. Respekt!
Deity’s Muse aus Südafrika begeisterten uns im Anschluss mit viel ruhigeren Tönen, nämlich melodischem Rock. Einer meiner Freunde bezeichnete sie sogar als sein Highlight des Festivals – und hatte auch gleich Gelegenheit, das dem Sänger Wayne direkt zu sagen, dem wir nochmal über den Weg liefen und der sichtlich gerührt war. Leider verpassten wir währenddessen Exivious, von denen alle unglaublich begeistert zurückkehrten und die außerdem gerade in Auflösung begriffen sind.
Weiter zum nächsten Highlight: Car Bomb. Wie konnten die denn zehn Jahre lang an mir vorübergehen? Die erste Platte ist nämlich schon so alt, ich kannte sie bisher gar nicht. Ich würde ihren Stil als ausgemachtes und ausgezeichnetes Chaos bezeichnen – extrem abwechslungsreicher Mathcore, der mich positiv an Bands wie TDEP und Sikth erinnerte und in den ruhigeren Momenten auch gern an die Deftones. Perfekte Mische, und tatsächlich die erste Band, bei der ich mich so richtig zum Abgehen hinreißen ließ.
Die im Nachhinein zum Publikumsliebling gewählten Twelve Foot Ninja (FB-Umfrage des Euroblasts) rockten als Samstagsheadliner ihren mit Reggae, Funk und was noch alles gewürzten Metalmix runter. Und das trotz akuter Übermüdung – sie waren nicht lang vorher mit 23 Stunden Flugzeit aus (Trommelwirbel …) Australien angereist. Mir gefiel die Show so gut, dass ich aus dem Grinsen nicht mehr heraus kam, sodass es von diesem Konzert diverse Fotos gibt, auf denen ich geradezu selig in der ersten Reihe stehe (Startmotiv). Das folgende Bild stammt allerdings nicht vom Festival, sondern vom Konzert eine Woche später in Frankfurt – diesen Nachschlag musste ich mir dann spontan noch gönnen.
Bei der anschließenden Jam Session konnte ich schon mal einen Vorgeschmack davon genießen, welch verdammt gute Musiker meine temporären Mitbewohner waren. Meine Kondition ließ inzwischen allerdings spürbar nach, sodass ich auch froh war, als ich irgendwann endlich ins Bett fallen konnte.
SONNTAG
Endlich wieder Sonne! Pflichtbewusst und neugierig tigerten wir schon zum ersten Gig, die werten chilenischen Zimmergenossen von Lechuga zu unterstützen – und die unterhielten den Keller mit gegniedelter Instrumentalmusik, die eigenwillig lateinamerikanisch und funkig anmutete. Nach einem kurzen Blick auf Atlin gönnte ich mir die hochenergetische Show von Ghost Iris – hier gab es die volle Breitseite auf die Ohren, die mich jedoch trotzdem irgendwie nicht so ganz überzeugen wollte.
Die Kölner A Kew’s Tag waren die Überraschung des Tages – Prog Rock mit A-Kus’-Tik-Gitarre und melodischen Songs, die die Zuhörerschafft regelrecht bannten – es war sogar so still, dass am Ende ein klingelndes Handy und die darauf folgenden Lacher „störten“. Das ist auch mal eine Erfahrung auf einem Metalfestival! Nameless Day Ritual erlebten wir als djentigen, orientalisch geprägten Musikmix mit Powerfrontfrau, die jedoch leicht genervt war ob diverser Soundprobleme.
The Hirsch Effekt waren wohl eine der meist diskutiertesten und herausstechendsten Bands des ganzen Wochenendes. Die Hannoveraner, die ihr Erzeugnis selbst als „Indielectropostpunkmetalmathcore“ bezeichnen – klingen, als hätte man The Dillinger Escape Plan mit Madsen gekreuzt. Wie bitte? Ja genau. Irgendwie passt es nicht, macht es aber unmöglich, weg zu hören – und polarisiert. Während die Mehrheit schon Beifall klatschte, fragte ich mich gelegentlich noch, ob ich es tatsächlich genießen kann, und die Antwort ist ein klares „Jein“. Den abgefahrenen instrumentalen Teil finde ich tatsächlich überwältigend – aus ihren Instrumenten prügeln die drei alles menschenmögliche heraus und sogar anschreien lass ich mich von ihnen gern – nur die Klargesang-Sequenzen mit deutschen Texten reißen mich zum Teil wirklich heraus aus diesem Klangerlebnis, wobei ich mich langsam daran gewöhne – oder die Herren einfach besser werden. So oder so: ein ganz großer Auftritt.
Es folgten die traditionellen Sonntagsrituale: die Verlosung einer Gitarre sowie die Zusammenkunft der „Euroblast Family“ auf der Bühne – also der Organisatoren und vielen freiwilligen Helfer, die dieses Event Jahr für Jahr zu ihrem Herzensprojekt und damit überhaupt erst möglich machen.
Sleepmakeswaves schafften es, mich mit ihrem Postrock dahinschmelzen zu lassen, ohne dabei auch nur eine Sekunde zu langweilen. Lustig war auch, dass dem Gitarristen eins jener Wackelaugen auf dem Arm klebte, die im Laufe des Wochenendes unter den Besuchern überhand genommen hatten…
Der kanadische Entertainer Devin Townsend, in dessen Werk ich mich zugegebenermaßen erst anlässlich seiner letzten Tour reingehört hatte, riss mich wiederholt total vom Hocker. Nicht nur die epischen Kompositionen und die gewaltige Stimme, sondern auch sein Humor und die Interaktion mit dem Publikum. Da wurde von seiner Seite nicht nur der Gummi-Fuß (ein mehrjähriger Gast des Festivals) mit einem amüsierten „WTF“-Kopfschütteln bedacht, sondern auch die so-gar-nicht-metaligen „Whoooo“-Rufe kurzerhand mit in den Song eingebunden. „Hevy Devy“ bescherte uns also nicht nur musikalisch, sondern auch emotional und für die Lachmuskeln das Abschlusshighlight schlechthin. Schöner hätte dieses Wochenende nicht enden können.
Der letztendliche Ausklang fand bei der traditionellen Abschluss-(Abriss-)Party im Keller statt. Rémy aka The Algorithm gab sich erneut die Ehre und heizte uns mit derber elektronischer Mukke ein. An jedem anderen Tag wäre ich davongelaufen, doch hier verweilte ich einfach noch ein bisschen in meiner Glückseligkeit und vertanzte meine letzte Energie, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass das Fest schon zuende war, und die Abschiede schließlich unumgänglich wurden.
Zusammengefasst: Drei Tage. Tausend Besucher. Viele alte und neue Freunde. Fünfundzwanzig genossene Konzerte. Zwei gefangene Picks. Unzählige musiknerdige Gespräche. Und reichlich Abschiedstränen.
… Und obwohl zum Kaufzeitpunkt noch keine Acts angekündigt waren, hab ich schon ein Ticket für nächstes Jahr. Welche Bands ich mir wünsche? Da gibt es schon ein paar. Aber eigentlich zählt am Ende nur, dass die Bande wieder versammelt ist und wir gemeinsam unserer ganz eigenen Musikleidenschaft frönen können.
Jeanette Bohn
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